Regina • 19. März 2023

Eine Frage der Chemie - Die Wirkung von Alkohol

Warum trinken wir?

Trinkst Du Alkohol? Wenn ja, kannst Du dich noch an Dein erstes alkoholische Getränk erinnern? An den Geschmack? Hat es Dir gefallen? Ich weiss noch gut, wie ich als junges Mädchen manchmal die Schaumkrone vom Bierglas meines Vaters probieren durfte. Ein eigenartiges Getränk. Der herben Geruch. Und dann dieser fluffige Schaum, den man vom Glas pusten konnte. Aber der Geschmack? Der Geschmack war widerlich. Wie konnten Erwachsene so ein Gebräu einer Cola oder Limo vorziehen? Als ich dann später ins Teenageralter kam, und alkoholische Getränke für mich zum festen Bestandteil meines Club- und Partylebens wurden, quasi den Eintritt ins Erwachsenenleben markierten, prosteten meine Freundinnen und ich uns vorzugsweise mit Asti zu. Der war so schön süss und süffig, geschmacklich der Limonade ähnlicher als einem Prosecco. Den herben, bitteren Alkoholgeschmack musste ich mir also anfänglich erst mit ein bisschen Training schön trinken. Das ist im Fall von Alkohol aber nicht weiter schwierig und gelingt bei wiederholten Genuss alkoholischer Getränke sehr schnell. Unser Geschmackssinn passt sich eben an. Mittlerweile mag ich zwar weiterhin kein Bier, aber auch keinen klebrig süssen Asti mehr. 



Wir trinken Alkohol nicht, weil er uns so gut schmeckt. Reiner Alkohol hat einen bitteren Geschmack und brennt auf der Zunge. Deshalb wird er in Getränken verdünnt und mit Aromastoffen und Zucker versetzt, damit wir ihn überhaupt geniessen können. Nein, wir trinken Alkohol wegen seiner berauschenden Wirkung. Der Konsum dieser Droge hat eine direkte Auswirkung auf den Botenstoffwechsel in unserem Nervensystem und löst damit angenehme Gefühle aus. Wenn wir Alkohol trinken, werden in unserem Gehirn diverse Neurotransmitter ausgeschüttet. Neurotransmitter, auch Botenstoffe genannt, sorgen in unserem Nervensystem für die Weiterleitung der Reize zwischen den einzelnen Nervenzellen. Sie sind sozusagen unsere neurochemischen Postboten. Die Ausschüttung bestimmter Neurotransmitter hat dabei eine direkte Auswirkung auf unsere Stimmung und Gefühlslage, unsere Aufmerksamkeit und das Wohlbefinden. Alkohol aktiviert vor allem die Botenstoffe Serotonin, Dopamin und das GABA-System. Serotonin und Dopamin bezeichnet man auch als Glückshormone. Die ersten warmen Sonnenstrahlen im Frühling, der himmlische Duft von frisch gebackenen Kuchen, Komplimente unserer Liebsten, Anerkennung im Beruf, all dies bewirkt bei uns die Ausschüttung von Glückshormonen, und wir nehmen diese Empfindungen als angenehm, schön und stimulierend war. Aber besonders die Droge Alkohol versorgt uns mit einer wahren Serotonin- und Dopamin Dusche. Im Fall meines Asti-Proseccos quasi sparkling Joy aus der Flasche! Der Botenstoff GABA hingegen sorgt in unserem Nervensystem für Ruhe und Entspannung. Bei Stress, Angst und Anspannung fährt uns GABA wieder runter. Hand aufs Herz, wer von uns kennt sie nicht, die entspannende Wirkung, die ein Glas Wein oder ein kühles Bier am Abend nach einem stressbeladenen Tag haben können? In unserem Unterbewusstsein wird der Effekt von Alkohol als eine positive Erfahrung abgespeichert. Und wir sind entwicklungsgeschichtlich darauf programmiert, positive Erfahrung möglichst schnell und oft zu wiederholen. Die Wiederholung bewirkt eine Konditionieren. Wir lernen Alkohol eine positive Bedeutung zu geben. So weit, so gut. Glückshormone und der Chill-out Faktor, was will man denn da mehr? Leider hat die Sache langfristig einen ganz grossen Haken. Serotonin, Dopamin und GABA sind nicht die einzigen Botenstoffe in unserem Nervensystem. Es gibt auch die Gegenspieler, und das ist auch sinnvoll. Wir hätten es als Spezies auf diesem Planeten nicht sehr weit gebracht, wenn wir in jeder Situation immer nur glücklich und entspannt geblieben wären. Als uns der Säbelzahntiger in der Steinzeit durch die Steppe jagte, hätten uns Glücksgefühle und innere Ausgeglichenheit nicht wirklich weitergeholfen. In den richtigen Situationen müssen wir auch Angst, Stress und Allarmbereitschaft empfinden können. Also leitet unser Gehirn bei regelmässigem Alkoholkonsum und den damit verbundenen Überschuss von Glückshormonen und GABA entsprechende Gegenmassnahmen ein, um die Balance der Botenstoffe wiederherzustellen. Die Rezeptoren für Serotonin und Dopamin werden herunterreguliert und das System für Glutamat, den Gegenspieler von GABA hochgefahren. Mit dem Ergebnis, dass die Glückshormone und GABA nicht mehr so stark wirken. Das Gefühl von Peace und Happiness bleibt aus, was unserem Unterbewusstsein natürlich gar nicht passt! Wir sind programmiert auf unsere gewohnte Ladung Glückshormone. Schlechte Gefühle und eine depressive Stimmung, Anspannung und Gereiztheit bahnen sich an. Das können wir nicht gebrauchen. Glücklicherweise gibt es für dieses Problem eine Lösung. Wir können ja einfach mehr und häufiger Alkohol trinken, um den Spiegel der Glückshormone wieder anzuheben. Gesagt, getan, und ohne es anfänglich zu realisieren, laufen wir Gefahr, Alkohol regelmässig und in immer grösseren Mengen zu uns zu nehmen.   Natürlich heizt das auch wieder die Gegenregulation an und wir müssen wieder mehr trinken. Und so weiter und so fort. Willkommen im Teufelskreis der Abhängigkeit!




Natürlich finden wir uns nicht alle, und auch nicht alle gleich schnell in dieser Suchtspirale wieder. Es gibt Menschen, die für die Wirkung von Alkohol empfänglicher sind als andere. Glücklich sind diejenigen, die Alkohol gelegentlich und in moderaten Mengen geniessen können, ohne in eine Abhängigkeit zu geraten und, ohne dass ihre Gesundheit und ihre Lebensqualität darunter leiden. Diesen Menschen sei das Glas Vino zum schönen Essen auch gegönnt. Wobei man sich bewusst sein sollte, dass Alkohol auch dann nicht unbedenklich ist. Alkohol ist nicht gesund. Das ist er nie, und zwar unabhängig von der Menge. Alkohol ist ein Zellgift und die Liste, der durch Alkohol verursachten Organschäden ist lang. Wer auf Alkohol ganz verzichtet, ist in jedem Fall auf der sicheren und gesünderen Seite. Aber wir Menschen machen eben nicht nur Sachen, die gesund sind. Erdbeereis mit Schlagrahm esse ich ja auch nicht, um mich mit einer ausreichenden Portion Antioxidantien und guten Fetten zu versorgen. Manchmal wollen wir einfach nur geniessen. Und das finde ich aus medizinischer Sicht auch völlig in Ordnung, wenn wir es nicht übertreiben. Ich beziehe mich hier allerdings ausschliesslich auf Erwachsene und nicht schwangere Frauen. Kinder und Schwangere sollten ausnahmslos auf Alkohol verzichten. In diesem Punkt bin ich kategorisch und kann Dir leider keine Relativierungen anbieten. In allen anderen Fällen ist es, sofern der Konsum keine Beeinträchtigung für andere darstellt, eine Frage des persönlichen Wohlbefindens. Und genau das ist das Stichwort. Wenn Du Alkohol trinkst und unter depressiver Stimmung, Anspannung, Ängsten und Selbstzweifel leidest, wenn Du trinkst, um eben diese negativen Gefühle auszuschalten, oder Alkohol benötigst, um positive Gefühle zu verspüren, wenn du Dich eben nicht mehr wohl fühlst, Dir die Kontrolle entgleitet, und Du vielleicht sogar schon erste Anzeichen für körperliche Schäden durch Alkohol bemerkst, dann empfehle ich Dir darüber nachzudenken, ob Alkohol nicht eher die Ursache Deiner Probleme als der Schlüssel zur Lösung ist.