Wein, Weib und die Boulevardpresse - Der Rotwein Mythos
Die Wein-Diät
Vor ein paar Tagen wurde ich von meiner Schwester auf einen Beitrag der Zeitschrift InStyle aufmerksam gemacht, welcher aktuell auf Social Media kursiert. Besagte Zeitschrift mit jungen Frauen als Hauptzielgruppe widmet sich bevorzugt den Themen Beauty, Fashion und Lifestyle. Der Eingangssatz des Artikels lautete: "Mädels, holt die Weinflaschen raus! Eine Studie bestätigt jetzt, Weintrinken hilft beim Abnehmen!" Wow, ein offensichtlich seriös recherchierter Artikel zu einer der wichtigsten Fragen, mit der sich die emanzipierte Frau von heute beschäftigt: „Wie bleibe bzw. werde ich schlank?“. Und dazu noch von einem Mann geschrieben! Ich war sofort gehooked. Wie die „Wein-Diät“ (O-Ton des Autors!) funktioniert, das wollte ich wissen. Aber schon ein paar Textzeilen weiter liess ich den Korkenzieher voller Enttäuschung wieder fallen. Der Autor, scheinbar leider doch kein Wissenschaftsjournalist, hatte die Studie entweder nicht gelesen oder nicht verstanden.
Um was ging es überhaupt?
Der Beitrag der InStyle bezog sich auf einen Artikel, den die Washington State University im Jahr 2015 auf ihrer Webseite veröffentlichte. Forscher*innen der WSU hatten in einer Untersuchung an Mäusen herausgefunden, dass Resveratrol in der Lage war, weisse Fettzellen in Kalorien-verbrennende braune Fettzellen umzuwandeln.
Was ist Resveratrol?
Resveratrol gehört in die Gruppe der Polyphenole. Polyphenole sind sekundäre Pflanzenstoffe, die unseren Körper vor freien Radikalen schützen, entzündungshemmend wirken und sogar Krebs vorbeugen können. Das Polyphenol Resveratrol findet sich vor allem in roten Beeren und roten Trauben. Da Rotwein aus roten Trauben hergestellt wird, enthält dieser ebenfalls Resveratrol.
Von Mäusen und Menschen
In der Studie wurden Mäuse in zwei Gruppen eingeteilt. Die eine Gruppe wurde auf eine fettreiche Kost gesetzt. Die zweite Gruppe erhielt zusätzlich Resveratrol in der Menge, wie es in ca. 340 g Obst enthalten ist. Die Resveratrol-Mäuse nahmen ca. 40 % weniger Gewicht zu, als die Mäuse der Vergleichsgruppe.
Ja, aber Moment mal! Dann hat der InStyle Schreiberling doch recht? Rotwein enthält Resveratrol. Resveratrol hilft Mäusen beim Abnehmen, also macht Rotwein uns Frauen schön und schlank!
Nicht ganz. Dem Autor unterlaufen hier leider ein paar logische Fehler. Erst einmal, die Aussage, Rotwein sei gesund, weil er Resveratrol enthält, ist nicht haltbar. Sonst könnte man ja auch zu dem Schluss kommen, ein paar Knollenblätterpilze in der Suppe schaden nicht, weil Pilze bekanntlich viel gutes Kalzium und Vitamine enthalten. Das im Wein enthaltene Resveratrol neutralisiert ja nicht die giftige Wirkung des Alkohols. Zudem verschlechtert Alkohol nachweislich den Fettstoffwechsel. Man nimmt also eher zu, als ab. Da trinke ich doch lieber ein Glas Traubensaft und brate mir ein paar Champignons. Ausserdem sind Menschen keine Mäuse. Was bei Mäusen funktioniert, lässt sich nicht so ohne weiteres auf den Menschen übertragen. Hierzu wären auf jeden Fall noch weitere klinische Studien notwendig, um den Effekt auf den Fettstoffwechsel beim Menschen zu belegen. Daher gibt es auch gar keine klaren Empfehlungen, welche Mengen an Resveratrol man einnehmen müsste, damit die Pfunde purzeln. In Nahrungsergänzungsmitteln sind teilweise Dosierungen von bis zu 1 g enthalten. Das entspricht einem Gehalt in ca. 100L Rotwein. Ein bisschen viel für eine Diät.
Mein Fazit daher: „Mädels, lasst die Weinflaschen im Keller. Alkohol macht leider weiterhin fett. Sucht Euch lieber eine gesündere Diät-Alternative.“
Warum sich aufregen?
Ein medizinisch falsch recherchierter Artikel in einem Lifestylejournal. Warum sich darüber aufregen, war mein erster Gedanke. Aber je länger ich darüber nachdachte, desto wütender wurde ich. Denn anders als mein kleiner, bescheidener Blog, ist die InStyle eine Zeitschrift mit grosser Reichweite. Mit ihren Beiträgen beeinflusst sie die Selbstwahrnehmung, das Schönheitsideal und Körperbewusstsein vieler junger Frauen. Die Kommentare auf Social Media zu diesem Artikel waren bis auf zwei Ausnahmen auch durchwegs positiv. Hurra, nochmal ein Grund mehr, täglich Rotwein zu trinken! Ein Mann, der in seinem Post die verharmlosende Darstellung des Alkoholkonsums kritisierte, erhielt postwendend die Antwort, er solle nicht so „bierernst“ sein. Die Leser*innen seien schliesslich erwachsen, und wüssten den Beitrag mit Humor zu nehmen. Ist das wirklich so? Handelte es sich beim InStyle Artikel um Satire? Hatte ich bei Sätzen wie: „Viele Ärzte raten sowieso dazu, abends ein Glas Rotwein zu trinken.“ und „Zudem soll Rotwein generell eine lebensverlängernde Wirkung haben.“* die Ironie verpasst? War ich dafür zu dumm? Kann ich davon ausgehen, dass keine der Leserinnen diesen Beitrag so auffasst, wie ich ihn verstehe? Nämlich als eine Aufforderung zum täglichen Trinken. Nein, der Beitrag ist ein Paradebeispiel dafür, wie mit medizinischen Halbwahrheiten und gezielten Fehlinformationen die Folgen des Alkoholkonsums in unserer Gesellschaft verharmlost werden. Ab und zu ein Glas Wein trinken und den Moment geniessen, da bin ich mit dabei. Ich lebe nicht abstinent. Aber es würde mir nie einfallen, Alkohol als Lifestyle Produkt mit gesundheitlichem Benefit zu propagieren. Das ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich. Die InStyle hat damit scheinbar kein Problem. Der Titel des Folgebeitrags lautete daher bezeichnenderweise: Abnehmen mit Tequila. - Wie diese Diät funktioniert, verraten wir hier! - Sorry, liebe InStyle, das will ich lieber gar nicht wissen.
*Nein, tun sie nicht. Und nein, hat er nicht.